Eine Reise nach Temeswar

Die Stadt der rumänischen Freiheit

Die Reise der Ulmer Delegatin nach Timișoara (Timisoara – Temeswar – Temeschwar – Temesvar – Temeschburg – Temisvar) wurde von der Stadt Ulm organisiert, um den zwanzigsten Jahrestag der Patenschaft für die Landmannschaft der Banater Schwaben zu würdigen. Ich durfte Teil dieser Delegation sein und war sehr gespannt, was mich dort, in Westrumänien erwartet. 

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Ankunft am späten Freitag Abend am Flughafen Temeswar
Ankunft am späten Freitag Abend am Flughafen Temeswar

Ich glaubte, Rumänien von einer Reise vor 5 Jahren nach Vidin einigermaßen zu kennen, und war sehr überrascht darüber, was für ein weltoffenes, modernes Bild sich mir in Temswar darbot.

Temeswar ist die drittgrößte Stadt Rumäniens mit einer Universität, auch Universität des Westens genannt, die u.a. die Fakultäten Kunst, Chemie, Ökonomie, Recht, Geschichte, Theologie, Mathematik, Musik, Physik, Sport und Politik lehrt.

Temeswar hat 310.000 Einwohner, wovon 10 % Studenten sind. Entsprechend präsentiert sich die Stadt modern, jung, pulsierend und bunt. Hier liegt zudem das bedeutende Wirtschaftszentrum des Landes.  In Temeswar herrscht quasi Vollbeschäftigung. IMG_5131

Es ist unbestritten die avatgardistischste Stadt Rumäniens, eine Stadt, die einen großen Bezug zu den europäischen Werten hat und die in friedlicher Form ihr multikulturelles Flair pflegt. Sprachenvielfalt und Mehrsprachigkeit ist Programm. Ungarn, Serben, Deutsche, Ukrainer, Slowaken, Juden, Bulgaren, Kroaten, Rumänen leben seit Jahrhunderten friedlich zusammen, Temeswar nennt man auch die Hauptstadt des Banats.

 

Beginnen wir mit dem Anlass der Reise:

IMG_5211Die Landsmannschaft der Banater Schwaben ist eine 1950 gegründete Vereinigung, die die nach Deutschland ausgesiedelten Banater Schwaben bei deren Eingliederung unterstützt, sowie das kulturelle Erbe aufrechterhalten will. Unsere Reise wurde vom Bundesvorsitzenden der Landsmannschaft, Herrn Peter-Dietmar Leber initiiert und begleitet.

Die Banater Schwaben sind eine Bevölkerungsgruppe, die ihre Wurzeln im Banat, einer historischen Region zwischen Rumänien, Serbien und Ungarn, hat. Heute sind sie zumeist in Deutschland angesiedelt. In Rumänien bilden sie eine Minderheit.

IMG_5218Wir haben am Denkmal der Opfer der Deportation einen Kranz niedergelegt, Gespräche mit verschiedenen Persönlichkeiten aus Politik, Kultur und Wirtschaft geführt, banater-schwäbisches Brauchtum besichtigt, ein ganz besonderes Altersheim, die Dörfer Lenauheim und Bille und die Gedenkstätte der Revolution besucht. Beim Empfang im bischöflichen Ordinariat haben wir die Partnerschaft des St. Elisabeth/St. Maria Suso Chores Ulm mit dem Domchor Temeswar geschlossen.

 

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Tradition

IMG_5235Bisher hat sich mir das Thema Banater Schwaben, bei meinen Berührungspunkten in Ulm lediglich als eine äußerst folkloristische Veranstaltung erschlossen. Bei dieser Reise wurde ich eines Besseren belehrt. Die Geschichte, die sich um diese Bevölkerungsgruppe dreht, hat eine lange Tradition, die eng mit uns Ulmern verbunden ist. 

Begonnen hat alles mit den sogenannten Schwabenzügen im 18. Jahrhundert, bei denen deutsche Siedler – etliche aus dem Ulmer Raum – auf Geheiß der Habsburger in der Region angesiedelt wurden. Diese wurden mit den uns allen bekannten Ulmer Schachteln dorthin transportiert. Damals stand dort der Begriff „Schwabe“ für alle deutschen Auswanderer. Natürlich wurde der Einfluss dieser deutschen Aussiedler im Rahmen der NS-Zeit und des Zweiten Weltkrieges zunächst stärker, was sich aber nach dem Frontwechsel Rumäniens im August 1944 schnell ins Gegenteil umkehrte. Einige flüchteten zurück in den Westen, die Meisten jedoch blieben, was ihnen schwer zum Verhängnis wurde. So wurden im Januar 1945 35.000 Deutsche aus der Region zur Zwangsarbeit nach Russland deportiert. Ihr Besitz, zumeist landwirtschaftliche Flächen, wurde enteignet. Weitere Zwangsumsiedlungen, diesmal in die Baragan-Steppe erfolgten 1951.IMG_5238

Das Leiden dieser Menschen mus unermesslich gewesen sein. Ihre über die Jahre entstandenen Strukturen, sowohl in geografischer, traditioneller als auch gemeinschaftlicher Hinsicht wurden zerstört.

Hier erklärt sich mir auch das außergewöhnliche Festhalten und Zelebrieren der traditionellen Trachten, als wichtiges Fundament der eigenen Identität.

1980 gab es weitere Auswanderungen nach Deutschland aufgrund verschlechterter Existenzbedingungen, verschärftem Systemzwang und der Wirtschaftskrise in Rumänien.

Heute bilden die Banater Schwaben eine Minderheit, die mit dem Demokratischen Forum der Deutschen in Rumänien (DFDR) auch politisch vertreten sind.

 

Politik 

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Rathaus Temeswar

Bei unserer Reise hatten wir auch ein Gespräch mit dem Abgeordneten Ovidiu Gant, der als Vertreter der deutschen Minderheit mit dem DFDR im rumänischen Parlament sitzt. Herr Gant hat ebenfalls rumäniendeutsche Wurzeln und nahm bei unserem Gespräch kein Blatt vor den Mund. 

Unbestritten ist die politische Situation in Rumänien derzeit – wie in vielen anderen Ländern auch – sehr gespalten. Einerseits gibt es den Präsidenten Klaus Iohannis, ebenfalls aus der rumäniendeutschen Volksgruppe, zuvor Bürgermeister von Hermannstadt, auf den viele große Hoffnungen gesetzt hatten, da er mit einem engagierten Reformversprechen antrat.

Auf der anderen Seite gibt es die seit Ende 2016 regierenden Sozialdemokraten unter Parteichef Livio Dragena, der durch seine Verurteilung wegen Wahlbetrugs selbst nicht Ministerpräsident werden durfte. Diese wollen das Gesetz zur Korruptionsbekämpfung wieder lockern. Daher protestieren seit Beginn des Jahres immer mehr Bürger*innen gegen die von den Sozialdemokraten geführte Regierung. Diese friedlichen Demonstrationen werden zunehmend von Gewaltausbrüchen begleitet. Leider werden die Demonstrationen kaum in den Medien thematisiert und sind somit der europaweiten Öffentlichkeit wenig bekannt. Sicherlich steckt auch hier eine Absicht dahinter.

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OB Gunter Zisch übergibt die Ulmer Präsente an den Vizebürgermeister Dan Diaconu

Inzwischen wird die Zugehörigkeit des Präsidenten Iohannis zur deutschen Minderheit von der Regierung instrumentalisiert um ihn in Zusammenhang mit Nazideutschland zu bringen. Er wird für die Massendemonstrationen verantwortlich gemacht. Die Vorwürfe der führenden Sozialdemokraten geraten dabei immer mehr unter die Gürtellinie. So wurde behauptet, Iohannis würde als Vorsitzender des DFDR als „Fortsetzer der Nazi-Organisation“ der deutschen Minderheit agieren. Verleumdungen und Diffamierungskampagnen gegen die deutsche Minderheit sind leider inzwischen an der Tagesordnung. 

Hier ein Beispiel aus dem Artikel „Der Deutsche ist schuld“ der Deutschen Welle:

Neue Verbalattacken

Auch die Spitzenvertreter der deutschen Minderheit in Rumänien protestierten entschieden gegen die Kapmpagne. Allerdings noch ohne Wirkung. Denn nur einen Tag später kam eine neue Verbalattacke, diesmal von der sozialdemokratischen Arbeitsministerin Lia Olguta Vasilescu, einer engen Vertrauten Dragneas. Weil Präsident Iohannis den massiven Einsatz von Tränengas gegen die Zivilbevölkerung verurteilt hatte, sagte sie in einer TV-Sendung: „Wer als ‘neamtz‘, als Deutscher, von Vergasung spricht, muss besonders mutig sein!” Die Anspielung an die Nazizeit war nicht zu überhören.

„Neamtzul“, der Deutsche, ist schuld, riefen auch die paar Menschen am Samstagnachmittag während der Protestaktion gegen Iohannis. Dann machten sie sich auf den Weg zurück in ihre Wohnungen, um die Bilder von ihrer mutigen Aktion in „ihren“, den regierungsfreundlichen TV-Sendern, das eine ums andere Mal zu bewundern. Inzwischen haben rumänische Künstler und Journalisten in den Sozialen Medien ihre klare Haltung zum Ausdruck gebracht, mit dem Hashtag #neamtztoo – Wir sind auch Deutsche.

Revolution

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Wachhund der Gedenkstätte

Im Zuge unserer Reise besichtigten wir auch die Gedenkstätte zur Revolution 1989: „Memorialul Revoluţiei 16-22 Decembrie 1989“ Association of Timişoara, die sich in einem ziemlich verfallenen Gebäude in der Stadt Temeswar befindet. Zunächst wurde uns ein sehr berührender Film über die Abläufe der Revolution gezeigt, bevor wir eine Führung durch Herrn Dr. Traian Orban durch das Museum bekamen.

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Dr. Trajan Orban

Herr Dr. Orban war in seinem früheren Leben Tierarzt, bevor er als aktiver Teilnehmer bei der Revolution angeschossen wurde und seither am Stock gehen muss. Danach hat er sein Leben dem Gedenken und Aufrechterhalten der Erinnerungen an die Revolution gewidmet. Ohne ihn wäre diese Gedenkstätte nicht möglich, die heute lediglich durch NGO´s mitfinanziert wird, was bei Weitem nicht ausreicht, um das Museum in einen angemessenen Zustand zu versetzen.

Im Eingangsbereich steht ein Stück der Berliner Mauer, was quasi den Auslöser der Revolution markiert. Die Bevölkerung hatte von den Machtwechseln in den anderen mittel- und osteuropäischen Staaten durch Mund-zu-Mund Propaganda gehört (Facebook und co. gab es damals noch nicht), und sich dann innerhalb von wenigen Tagen mittels immer größer werdenden Demonstrationen, Unruhen bis hin zu blutigen Kämpfen gegen den rumänischen Diktator Ceausescu organisiert. Ceausesco hatte sein Land ruiniert, während die Bevölkerung unter großer Armut, bis hin zu Hungersnöten leiden musste, baute er sich seinen prunkvollen Parlamentspalast, das größte zusammenhängende Gebäude Europas. Jeder Widerstand wurde im Keim erstickt und von der Geheimpolizei Securitate zerschlagen. Die allumfassende Korruption, das herrschende Elend sowie das blutige Niederschlagen von Aufständen ließen zunächst kaum eine Auflehnung durch das Volk zu.

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Platz der Oper während der Revolution

Anders in Temeswar. Die dort lebenden Deutschen waren durch ihre verwandtschaftlichen Beziehungen über die Revolutionen 1989 in Osteuropa informiert. Auch wurden Fernsehprogramme aus Ungarn und Jugoslawien empfangen. Der Pfarrer Laszlo Tokes übte in seinen Predigten offene Kritik an den Zuständen in Rumänien, woraufhin er strafversetzt werden sollte. Ab diesem Moment sammelten sich immer mehr Menschen vor dem Haus des Pfarrers, um gegen diese Strafversetzung zu demonstrieren. Innerhalb weniger Tage breitete sich der Protest aus, Tausende sammelten sich auf dem Opernplatz, um den Reden der Revolutionsführer zuzuhören. Am 17. Dezember kam es dann auch zu Schusswaffeneinsatz durch die Securitate. Als dann auch noch die Herausgabe der Verletzten und Toten verweigert und 40 Leichen mittels eines Kühlwagens des Fleischkombinats nach Bukarest abtransportiert wurden, war das Maß voll. Ceausescu reiste trotz der Unruhen nach Teheran. Inzwischen waren 150.000 Menschen vor dem Opernplatz. Nach und nach wechselten Militär und Securitate die Fronten. Am 21. Dezember galt die Ceausescu Diktatur als besiegt, nachdem inzwischen auch europaweit über die Zustände im Radio berichtet wurde.

Ceausescu und seiner Frau gelang die Flucht nicht, bereits am 24. Dezember wurde Ihnen durch ein außerordentliches Militärtribunal der Prozess gemacht. Am 25. Dezember um 14:50 wurden sie mit 90 Kugeln aus 3 Kalaschnikows erschossen. 

IMG_5262Die rumänische Flagge mit dem herausgeschnittenen Wappen Rumäniens galt als Zeichen der Revolution.

Der Zustand des Museums Memorialul Revolutiei spricht Bände, was den Umgang der Rumänen heute mit ihrer Revolution anbelangt. Würde die Vergangenheit nicht durch Herrn Dr. Trajan Orban behütet, bewahrt und darüber informiert, würde heute kaum einer mehr darüber reden. Während der Fall der Mauer bei uns bis heute gefeiert wird, schweigt Rumänien. Die historische Aufarbeitung der Revolution 1989 kommt nicht voran, weil nach wie vor Akten von Staat und Militär zurückgehalten werden. Ein führender Intellektueller, Horia-Roman Patapievici sagt: „Es gab während der Revolution tausend Opfer, aber keinen Täter. Das ist doch verrückt.“ Ceausescus Nachfolger Ion Iliescu habe die Ereignisse vertuscht, und seitdem blockiere der Staat die Aufarbeitung. Die Deutschen, sagt Patapievici, die seien immer so gründlich, auch bei ihrer Vergangenheitsbewältigung. Das fehle in seinem Land. „Rumäne zu sein heißt, sich in der eigenen Gesellschaft im Exil zu fühlen.“

 

Architektur

IMG_5171Temeswar hat mit dem Opernplatz, dem Domplatz, dem Freiheitsplatz, dem Trajanplatz eine ganze Reihe beeindruckender Plätze, sowie prunkvolle Schlösser und Paläste. Hinzu kommen zahlreiche Kirchen verschiedener Konfessionen. Das Stadtbild ist von der Wiener Architektur des 18. und 19. Jahrhunderts geprägt. Der Einfluss des süddeutschen Barocks ist unübersehbar. IMG_5159So weist die Innenstadt einen klassischen barocken Gitternetzgrundriss auf. Für alle Arbeiten und Bauten auf dem Gebiet Temeswars, kamen die Pläne von den Fachleuten aus Wien. In der Gründerzeit kamen noch etliche Gebäude des österreichischen Jugendstils, dem Sezessionsstil, hinzu. Viele dieser prachtvollen Altbauten sind heute noch erhalten und stehen unter Denkmalschutz. Ein gewisser Sanierungsstau ist nicht wegzuleugnen, macht aber aus meiner Sicht das Stadtbild umso interessanter. Es muss nicht immer alles 100% geschleckt sein. Manchmal entdeckt man auch zwischen den ehrwürdigen alten Gebäuden einen Bau aus den 50er, 60er Jahren. Spöttisch werden diese von den Temeswarer als „Stasibarock“ betitelt.IMG_5162

Lsetipp

Herr Konsul Ralf Krautkrämer hat mir dieses Buch empfohlen:Bildschirmfoto 2018-09-23 um 17.44.18

„Jakob beschließt zu leben“ von Catalina Floresco

 

 

 

 

 

 

Rezept

Bildschirmfoto 2018-09-23 um 17.46.59Neben extremem Fleischkonsum gab es erfreulicherweise auch immer leckere Salate und Gemüse. Ganz besonder hat mir die rumänische Auberginenpaste geschmeckt, eine super Alternative zur Guacamole aus der, für die Umwelt sehr schädlichen Avocado.

Rumänische Auberginencreme

 

> 4 größere Auberginen
> ca. 150 g Yoghurt
> eine Schalotte (und eigentlich auch eine Zehe Knoblauch, aber wenn ihr am nächsten Tag zum Zahnarzt müßt, würde ich das weglassen)
> etwas Thymian, Oregano oder Majoran – oder halt Kräuter der Provence
> Salz, Pfeffer, Olivenöl, Balsamico

Auberginen waschen und für ca. 45-50 Minuten in den Ofen backen, bei 180° Umluft. Legt unbedingt eine Alufolie drunter. Und WICHTIG: Auberginen mit einem Messer oder Gabel kurz anstechen!

Wenn die ordentlich schrumpelig sind, holt sie raus und lasst sie abkühlen. Jetzt schneidet die Schale auf und kratzt mit einem Löffel den ganzen Inhalt raus. Gebt das in ein Gefäß.Bildschirmfoto 2018-09-23 um 17.50.41

Gebt dann alle anderen Zutaten dazu: Öl ca. 3-4 EL, Balsamico nur ca 1-2 EL.Dann ordentlich pürieren. Fertig: Kann mit Tomaten serviert werden.

2 Kommentare zu „Eine Reise nach Temeswar

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